Internationaler Museumstag 2005

im Sinziger Heimatmuseum

 

 

„…bald das Leben ausgehaucht"

Ernst Steinmetzler entdeckte auf dem Flohmarkt persönliche Dokumente eines Kriegsgefangenen
des Lagers Remagen Sinzig

 Bericht von Hildegard Ginzler, Sinzig

Sinzig/Leipzig. Ernst Steinmetzler, lokalgeschichtlich interessierter Bürger, sammelt schon lange Postkarten von Sinzig und Umgebung. Für besonders wertvoll erachtet er aber auf dem Flohmarkt entdeckte persönliche Dokumente aus dem Kriegsgefangenenlager Sinzig Remagen. Es handelt sich um Skizzen und Aufzeichnungen über die Situation im Lager, wie sie der damalige Gefangene Erich Hillmann aus Leipzig erlebte.

"Blick von der Mitte des Lagers Rhein aufwärts, Gefangenenlager Sinzig, 10/6. 45"

Am 8. Mai 1945 waren in Remagen 134.029 und in Sinzig 118.563 Internierte. Vor 60 Jahren beschrieb der Sachse, was seinen und zigtausender anderer Soldaten erbarmungswürdigen Aufenthalt prägte. Am 10. Juni strichelte er die Ausdehnung des riesigen in Camps aufgeteilten Lagers mit beiden Rheinufern rheinaufwärts. Am Tag darauf zeichnete er aus seinem Camp 12 einen „Rundblick vom Gefangenenlager aus von Nordwest – Ost u. West“. Ebenso entstand ein extrem weitwinkliges Panorama von der linken Rheinseite, Richtung flussaufwärts. Da Hillmann nur kleine Papierstücke hatte, setzte er sie in der Breite zusammen. 

 

Auf einem Einzelblatt vom 1. Juni sieht man das „Lagerleben in Camp 12“: Ein Mann steht in Brusthöhe in der Erde und schaufelt. Er hat als einziger ein Gesicht, während die anderen Figuren anonym umrissen sind, mancher gleichfalls mit Schaufel. Ein paar Dosen machen den ganzen „Hausrat“ der elendiglich vegetierenden Gefangenen aus. Ein weiteres Bild zeigt die Wohnhöhle von innen, von Hillmann mit „Unser Bunker“ betitelt.

Für das Dach über dem Kopf mussten die Gefangenen selber sorgen: "LAgerleben in Camp 12 am 1.6.45, E. Hillmann"

Am 10. April wurde er nach Grimma zur Fahrer-Ausbildungs-Abt. 4 abkommandiert, nach der Räumung der Kaserne flüchtete er und irrte eine Woche lang in der Gegend von Zaschwitz umher. Weiter notierte Hillmann: „Am 26. April im Lazarett (Hubertusburg) entlassen. Zurück über die Mulde bei Grimma. Im Raume Nerchau, am 27. April von den Amis gefangen genommen. Alle Wertsachen abgenommen, mit LKW, je Wagen 100 Mann Gefangene. An einem Tage nach Sinzig gebracht (6. Mai). Dort bis 24. Juni auf freien Feld am Rhein, mit Krankheiten, fast ohne Nahrung, bald sein Leben ausgehaucht.“

"Unser Bunker (innen) Gefangenenlager Sinzig Camp 12 am 30/5.45, Hillmann"

Als Durchgangslager von den Amerikanern errichtet, hatten die Rheinwiesen weder Behausungen noch sanitäre Einrichtungen. Die Gefangenen litten unter miserabler Verpflegung und katastrophalen Hygieneverhältnissen. Einige campierten unter Zeltplanen, alle übrigen waren in Erdlöchern der Witterung ausgesetzt. Durch den Schlamm watend holte Hillmann Verpflegung am Lagereingang, die anschließend die deutschen Offiziere aufteilten. Erbittert schrieb er: „Diese Saubande, die richtige Benennung dafür, suchten sich das Beste heraus. Wir wurden in 100(er) und 10er Mannschaften eingeteilt, so war am Ende nur für einen Mann eine Handvoll Hartgemüse, einige Rosinen, Kekse übrig.“ Täglich sahen die Landser, wie über die Lagerstraße Tote abtransportiert wurden. Die erste Zeit gab es kein Wasser: „Zu trinken war daran nicht zu denken, nur das Maul auf und die Regentropfen genügten uns. Einige saugten aus Pfützen einige Schlucke (das war der Anfang der Ruhr!). So ging es Tage weiter bis Verpflegung in Blechbüchsen geliefert wurde. So konnten wir mit den kleineren Büchsen uns einige 10 cm in den Boden einkratzen, um gegen den kalten Nachtwind zu schützen.“ Nach Tagen wurde in jedem Camp eine einzige Wasserstelle eingerichtet. Heraus kam gechlortes Rheinwasser, mit dem ein voll gepumpter Kessel das gesamte Lager versorgte. Pro 10er Mannschaft reihte sich ein Mann in der Schlange zum Wasserholen ein. Hillmann: „Ich stand da einmal einen vollen Tag mit einem leeren Zinkblech-Verpflegungs-Gefäß“.

Zur Entkräftung und Mangelernährung kamen Krankheiten. Die Ruhr grassierte. Aus anderen Quellen ist unter anderem von 120 deutschen Militärärzten die Rede, die Verletzte und Kranke in einem Feldlazarett versorgten. Hillmann berichtet von einem einziger Arzt im Krankenzelt, der die Patienten immer zu fünft abfertigte, nach dem Motto: „Täglich Tabletten einnehmen und nichts essen“. Sarkastisch wird sein Ton bei der Beschreibung der „Klosetts“, „eine raffiniert eingerichtete Erfindung, einfach mehrere zirka 3 mtr Länge, 30 – 40 cm Breite u. 2 mtr Tiefe Graben. Darüber zu setzen, für uns nur fast Leichen genannte unmöglich. Einige Kameraden, die es trotz versuchten, brachen ein und wurden erst nach keinem Lebenszeichen aus dem Graben gehoben.“ Über seine optische Wahrnehmung verwundert, fragte Erich Hillmann seine Mitgefangenen, „ob es euch auch so geht mit den Augen: Das alles um uns, der Himmel, eben alles „violett“ aussieht.“ Jemand sagte ihm, das Fehlen von Fetten und Vitaminen erzeuge die Farbänderung. Für manche gingen die Strapazen auch psychisch über das Verkraftbare hinaus. Hillmann erlebte, wie jemand den Verstand verlor, im Gelände herumrannte, im Schlamm blieben lieg: „Seitdem konnte er kein Wort reden.“ „Fast als Letzte im Lager wurden die Leipziger aufgerufen. Mit Ami L.K.W. Abfahrt aber wohin? Zum Glück über die Rhein-Pontonbrücke von Rhein Westseite zur Ostseite nach Koblenz. In die Heimat! Das Lager Sinzig war leer am 24 Juni.“ So endet der Bericht von Erich Hillmann, der im zivilen Leben eine Werkstatt für Schilder und Dekorationsmalerei in Leipzig betrieb. Seine Notizen steuern einen weiteren erschütternden Beleg für die menschunwürdigen Verhältnisse bei, unter denen vor 60 Jahren Kriegsgefangene auf den Feldern und Rheinwiesen zwischen Remagen und Niederbreisig eingepfercht waren. Dass die privaten Aufzeichnungen des ehemaligen Gefangenen auf dem Flohmarkt erwerbbar waren, lässt eine Nachlassauflösung vermuten. Eine Telefonrecherche bei Trägern des Familiennamens Hillmann in Leipzig führte zu keinem Ergebnis. HG

Repro: F. Rick