Karneval: Aufheben der vertrauten Ordnung

Dr. Günther Schell, Vorsitzender des Denkmalvereins, sprach zur Geschichte
von Carneval und Fassenacht

von Matthias Röcke 

 

Sinzig, Januar 2010

Karneval, Fassenacht, Fasching – alle Ausformungen der „Fünften Jahreszeit“  haben ihre Erklärung und Entwicklung und spiegeln – das wurde den Besuchern des Turmgespräches im Schloss zum diesem Thema deutlich -  gesellschaftliche und geschichtliche Entwicklungen wider. Dr. Günther Schell, Vorsitzender des veranstaltenden Vereins zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums, war diesmal auch der Vortragende. Zügig und unterhaltsam führte er seine Zuhörer durch die Jahrhunderte mit Karneval, Fassenacht und Fasching. Er begann mit der Deutung der Begriffe: Karneval stammt vermutlich von carrus navalis/Schiff auf Rädern und nimmt Bezug auf einen römischen Festbrauch, weniger wahrscheinlich von carne vale/Fleisch ade. Fassenacht meint wie diese Version das letzte Feiern vor der christlichen Fastenzeit.

Dr. Günther Schell
Foto: Hildegard Ginzler

Ob bei den Römern oder bei den Christen,  immer ging und geht es an den Karnevalstagen um das Aufheben der vertrauten  Ordnung. Es ist die Lust, alles ins fröhliche Gegenteil zu verkehren, der heutige Prinz Karneval mit seinen närrischen Paragrafen beweist es jedes Jahr wieder. In der Römerzeit  zum Fest der Saturnalien durften die Sklaven am Tisch des Herrn liegen und sich wie Freie kleiden, über Jahrhunderte war es nur an den Karnevalstagen erlaubt, über die Obrigkeit Witze zu machen. Das zeigt sich beispielsweise bis heute in den äußeren Formen von Karneval und Fassenacht, die Uniformen, Gewohnheiten und Herrschaftsdünkel der französischen Besatzung in Deutschland ab 1797 durch übertriebene  Nachahmung aufs Korn nahmen. Heute sind sie,  auch das sprach Dr. Schell an, längst zu eigenen strengen Regeln geworden mit all ihren Würden und Würdenträgen. Auch die närrische Zahl elf hat ihren Ursprung in Franzosenspott. Sie steht in Buchstaben für egalité, liberté, fraternite´ (Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit), das Motto der Französischen Revolution. 

Vor dieser Zeit hatte es ganz verschiedenartige Formen des öffentlichen Vergnügens gegeben, an denen sich über lange Zeit auch der katholische Klerus auf allen Ebenen beteiligte.  Je nach politischer Lage – in Kriegszeiten ruhte das närrische Treiben in der Regel - und der Toleranz des zuständigen Potentaten blühte das Brauchtum auf oder wurde an den Rand gedrängt. Immer wieder gab es auch Ausschweifungen und Formen der Verrohung, wobei Alkohol, Gewalt und Kriminalität eine Rolle spielten. Dies war übrigens auch der Grund für die heutigen festen Regeln des Kölner Karnevals. Nach dem Machtantritt der Preußen 1815 befürchteten die Kölner Karnevalaktivisten wegen bedenklicher Auswüchse auf den Straßen ein Verbot durch die preußische Regierung und führten deshalb das „festordnende Comitté“ ein.

In Sinzig sind karnevalistische Aktivitäten aus dem 19. Jahrhundert überliefert, meist bestanden sie aus Maskenbällen, veranstaltet von der Schützengesellschaft oder vom Männergesangverein. 1890 gründete sich die Sinziger Carnevals-Gesellschaft, die 1898 auch ihren ersten Prinzen präsentierte. 1927 war ein Neuanfang nötig, es entstand die Karnevals-Gesellschaft Sinzig, die mit Unterbrechungen bis 1963 tätig war und 1967 durch die heutige KG „Närrische Buben“ abgelöst wurde.  Ein Plus für Sinzig konnte Dr. Schell, gebürtig aus Mainz, den Zuhörern zum Schluss verkünden: Noch vor Mainz stellte Sinzig den ersten Rosenmontagszug nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Beine, nämlich schon 1949 – Mainz folgte ein Jahr später.

Im Namen des sehr interessierten Publikums dankte der stellvertretende Vorsitzende des Vereins, Karl-Friedrich Amendt, Dr. Schell für seine oft überraschenden und bis heute gültigen Ausführungen zu dem populären Thema.

Das nächste Turmgespräch findet am 4. Februar um 19.00 statt zum Thema „Die Geschichte der evangelische Kirchengemeinde Sinzig, Referentin ist Pfarrerin  a.D.  Erdmute Wittmann.