Vom Heilig-Geist-Hospital zum Facharzt – Geschichte der medizinischen Versorgung in Sinzig

Sinzig. Wie war es früher mit der medizinischen Versorgung in Sinzig, wie hat sie sich bis heute entwickelt? Bis zum „Turmgespräch im Schloss“ des Vereins zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums in Sinzig mit dem Vortrag von Vorstandsmitglied Dr. Hans-Uwe Schneider gab es zu dieser Frage keine allgemein gültigen Antworten. Jetzt hat der Sinziger Arzt im Ruhestand durch aufwendige Recherchen in Archiven und bei Zeitzeugen die Geschichte der medizinischen Versorgung in Sinzig transparent gemacht. Ein großer Kreis Interessierter folgte den Ausführungen mit Spannung und auch innerer Anteilnahme, soweit es um die jüngere Vergangenheit ging.

Medizinische Einrichtungen

Einen Arzt für Sinzig gab es erstmals 1836, einen so genannten Distriktarzt. Bis dahin hatten sich die Menschen in Krankenhäuser und deren Vorläufer zu begeben. Für Sinzig ist als früheste Einrichtung dieser Art für das Jahr 1275 ein Hospital erwähnt. Das Gebäude steht noch heute (Bachhovenstraße 14). Eingerichtet und geführt wurde es seinerzeit von dem weltlich orientierten Ordensschwestern der Beginen, zunächst, um hauptsächlich die zur kaiserlichen Pfalz in Sinzig Reisenden zu versorgen. Das Heilig Geist Hospital bekam 1310 ein eigenes Siegel – es stand unter der Verwaltung der Stadt – und hielt durch bis zur französischen Revolution 1794. Danach war christlichen Institutionen jede Aktivität untersagt. Das Gebäude wurde bis ca. 1865 heruntergewirtschaftet. Ab 1911 wurde daraus ein Stadtgefängnis inklusive Wohnung für den Gefängniswärter.

Ein durch und durch trauriges Kapitel stellt das Siechenhaus am Hellenberg dar. Außerhalb der Stadtmauern in Richtung Westum gelegen, hatte es die Aufgabe, vor allem Pest-und Leprakranke von den Gesunden abzuschirmen. Der vorbei fließende Bach sollte den Ausgesetzten Linderung geben, die sich völlig sich selbst überlassen wurden. Im 19. Jahrhundert wurde es abgerissen, heute erinnert ein Heiligenhäuschen an den Standort. Die Pest, seit 1348 von Italien aus in Europa unterwegs, suchte Sinzig erst 1629 heim. Die Menschen waren dieser bakteriellen Erkrankung hilflos ausgeliefert, erst von der Obrigkeit durchgesetzte bessere hygienische Verhältnisse besiegten allmählich die Epidemie.

Hervorgegangen aus einem Armenhaus, zu dessen Einrichtung jede Stadt verpflichtet war, entstand 1893 das Franziskushaus, ebenfalls unter Verwaltung der Stadt, aber geführt von Franziskanerinnen. Lange wirkte es als städtisches Krankenhaus mit Wöchnerinnenstation (die letzte Geburt dort gab es 1971), ehe es zum heutigen Altenwohnheim mit über 100 Plätzen umgebaut wurde, seit 1987 unter Führung des Johanniterordens. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 gab es in Sinzig früh ein Lazarett, nämlich in der Villa Andreae auf dem Helenaberg, eingerichtet für 30 bis 40 Verwundete. Im Spätherbst 1915 wurde es wieder aufgehoben.

Ein weiteres Gebäude in dieser Reihe ist heute nicht mehr sichtbar. Das Sinziger Badehaus in Höhe der Kölner Straße wurde nach der Entdeckung des Sinziger Brunnens 1857 eingerichtet, ein Jahr vor dem Bad in Neuenahr. Die Konkurrenz war so groß, dass letztlich der Druck aus Bad Neuenahr offenbar eine blühende Zukunft von Bad Sinzig, wie es sich damals nannte, verhinderte. Dr. Schneider hatte zur wechselvollen Geschichte dieser Einrichtung viele Fakten zusammengetragen. So folgte der Schließung ab 1862 für kurze Zeit eine „Private Irren- und Heilanstalt“, danach verkümmerten die Gebäude, ehe es 1927 den Versuch einer Wiederbelebung gab. 1943 wurde in der Anlage, von der heute nur noch die Pfosten der Toreinfahrt erhalten sind, ein Kinderheim. Der Abriss erfolgte 1982/83.

Ärzte in Sinzig

Erst um das Jahr 1800 standen überhaupt Ärzte für die Bevölkerung zur Verfügung. Bis dahin hatte es nur Leibärzte bei Hofe oder ärztliche Hilfe exklusiv gegen Barzahlung gegeben. Die war so hoch, dass sich die meisten Menschen keinen Arzt leisten konnten, „Wunderärzte“ und Quacksalber hatten Konjunktur. Als in Folge der Französischen Revolution 1794 sich in Bonn ein Zentrum der Heilkunde etablierte, ging es auch in der Region langsam voran. Ab 1800 gab es einen Arzt in Remagen und in Ahrweiler. Entweder waren sie auch gleichzeitig Apotheker oder standen in Diensten eines Apothekers, beide Berufe waren seinerzeit eng miteinander verknüpft. Die ab 1815 für das Rheinland verantwortliche preußische Verwaltung führte den Distriktarzt ein. Junge Ärzte mussten kurz nach der Ausbildung sich in Staatsdiensten bewähren, es gab erstmals einen Arzt für jedermann. Auch Sinzig erhielt so, wenn auch erst 1836, seinen Arzt, Dr. Apollinar Schäfer. 1893 eröffnete in Sinzig die erste Apotheke.

Nach und nach ließen sich Ärzte für Allgemeinmedizin in Sinzig nieder. Einige prägnante Erscheinungen beschrieb Dr. Schneider ausführlich und weckte dabei Erinnerungen in der Zuhörerschaft, die teils aus Erzählungen und teils aus eigenem Erleben stammten. So sind in der Ärztehistorie neben anderen Dr. Leydecker (praktizierend von 1920 bis 1936) und Dr. Knichel (1926 – 1958) vermerkt. Als erste Fachärztin wirkte ab 1955 Kinderärztin Dr. Anneliese Fleischmann. Nach 1975 durften sich Fachärzte verstärkt in Sinzig niederlassen – darüber entscheidet bis heute die Kassenärztliche Vereinigung. Auch Dr. Schneider gehörte der jungen Ärztegeneration, die sich um diese Zeit etablierte. Es waren zunächst die Fachbereiche Hals, Nasen Ohren-Krankheiten, Innere Medizin, Urologie sowie Orthopädie vertreten, später dann auch Kinderheilkunde, Augenheilkunde, Gynäkologie, psychosomatische Medizin und Kardiologie. Um 1990 hatte Sinzig eine sehr gute Versorgung mit Arztpraxen erreicht, die bis heute anhält. In Sinzig – den Stadtteil Bad Bodendorf selbstverständlich eingeschlossen – arbeiten 12 Allgemeinärzte und neun Fachärzte, dazu kommt eine psychotherapeutische Einrichtung, drei Apotheken stehen zur Verfügung. Und ein Krankenhaus gibt es auch – die Ahrtalklinik für Herzerkrankungen in Bad Bodendorf unter der ärztlichen Leitung seit 1993 von Dr. Günter Giesen.

Viel Stoff für einen Vortrag, oder, wie es Vorsitzender Dr. Günther Schell in seinen Dankesworten formulierte: 800 Jahre Sinziger Medizingeschichte in ein dreiviertel Stunden – und die wurden nie langweilig.

 

Dr. Günther Schell (rechts) dankt seinem Vorstandskollegen Dr. Hans-Uwe Schneider für seinen Vortrag.

 

(c) Text und Bild Matthias Röcke 2012