Augen auf für Sinzigs Architektur!
Hardy Rehmann und Matthias Röcke führten beim Stadtrundgang zu baulichen Juwelen und Besonderheiten
Sinzig. Gerade erst hatten sie im Rahmen der Vortragsreihe „Turmgespräch im Schloss“ ihre Neuerscheinung „Architektur in Sinzig - Bauliche Entwicklung einer Kleinstadt am Mittelrhein seit 1827“ (ISBN: 978-3-96058-973-0), vorgestellt, da legten die Autoren Hardy Rehmann und Matthias Röcke ein Angebot zum sinnlichen Nachempfinden drauf. Am Donnerstagabend galt auf Einladung des Vereins zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums alle Aufmerksamkeit den bebilderten Erläuterungen der beiden. Am Samstagnachmittag starteten sie auch schon, von einer interessierten Gruppe umrundet, vor dem Schloss ihre Tour durch die Kernstadt zu ausgewählten Baubeispielen verschiedener Stile und Epochen.
Matthias Röcke, Journalist, Buchautor und Vorstandmitglied im Denkmalverein, skizzierte rasch die Entstehungsgeschichte des Schlosses, das zwar nur so genannt wird und eigentlich die stattliche neugotische Residenz der Familien Bunge und Koenigs war, aber auf den Fundamenten eines veritablen Schlosses und einer 1337 erwähnten vormaligen Wasserburg der Herzöge von Jülich-Berg steht. Um etliche Häuser ins Visier zu nehmen, durfte bei keinem einzelnen zu lange verweilt werden. Also zügig mit rund 30 Teilnehmern die Barbarossastraße gekreuzt, um in der Schlossstraße ebenso viele Augenpaare an die schönen Jugendstil-Fassaden der Nummern 4 und 5 zu heften. Der schmale Verkehrsweg erschwert die Betrachtung, so dass die Stadtgänger ihre Köpfe stark in den Nacken legen mussten. Auch stellten sie fest: Selbst eine so kurze Verbindung wie die Schlossstraße weist verschiedene Stile auf. So ist etwa das Bauen der 1920er und 1930er Jahre vertreten, letzteres mit dem beliebten Dreieck-Dekor, Betonung des Giebels und der Horizontale sowie dem „unvermeidlichen“ Erker.
Dankbarer Erkundungsraum
Schon erreichte die Gruppe den Markt, „ein dankbarer Erkundungsraum“, kommentierte Rehmann. Zunächst wies Röckes Ko-Autor, Diplomingenieur und bei der Deutschen Telecom beschäftigt und ebenfalls Vereinsmitglied, auf den Markt 5, einen Fachwerkbau von 1757 mit fünf Achsen und Schiefer-Mansarddach hin. Oben hat er Fensterbänke aus Holz, im verputzten Erdgeschoss sind sie aus Stein. Davon in etwa übereck stehen zwei große Häuser, ein gelbes von 1838 und ein hellblau gefasstes von 1890 in verschiedenen Ausprägungen des Klassizismus/Historismus. Wieder vollkommen anders und eine Neuheit für seine Zeit war in den 1930ern das heute altrosa gestrichene prägnante Gebäude Markt 9. Es folgt nicht nur dem Bogen der Straße, sondern war auch das erste von vorneherein als Geschäftshaus geplante Sinziger Gebäude, während alle früheren Läden in bestehende Wohnhäuser eingebaut wurden. Aus der zweiten Hälfte der 1970er stammt dagegen ein Bau mit verglastem Giebel. Links angrenzend zeigt sich, teils mit Marmor verblendet, ein vom Jugendstil beeinflusstes Haus (Markt 15), dessen Dekore jedoch nachträglich reduziert wurden.
Fliesen mit Bronzehaut
Nicht selten sind es die Details, welche Hinweise auf das spezielle Schmuckbedürfnis der Bauherren geben. So ist am hellgrauen Keramiksockel der Koblenzer Straße 6, ein typisches Haus der 1930er Jahre, ein erstaunlicher Abschluss aus Fliesen mit dunkler Bronzeauflage zu entdecken. Beim zeitgleichen Nachbarhaus Nummer 4, Sitz des Bürgerforums, rahmt indes im Sockelbereich geflammte braune Baukeramik mehrere Schaufenster. Dieser Art Hausschmuck ist, nebenbei bemerkt, gleichfalls das Gebäude von Tappe‘s Hofgarten in Westum verpflichtet. Auch ein Beispiel der 1950er geriet in den Blick. Heute wirkt die Ausdorfer Straße 1, ein Flachdachbau mit einer Fassade ganz aus Glas, eingefasst von schwarz glänzendem Material, bedauernswert ramponiert. Damals aber galt der Neubau als ultrachic.
Und wieder frappierten die Unterschiede, denn hervorragend restauriert präsentiert sich das prachtvolle Fachwerk des Nachbarhauses Nummer 3 von 1771. Erhalten im Originalbestand und auf seine Weise wunderschön, ist ein kurios schmales Haus von um 1930, das schon zur Erbauungszeit für Debatten sorgte.
Repräsentatives Fachwerk
In die Eulengasse einbiegend, erwartete die Architektur-Freunde eine Reihe bemerkenswerter Fachwerkbauten: die Nummern 2 und 4, langgestreckte, wohl von Ackerern errichtete Häuser sowie der repräsentative Trierer Hof und ein ebensolcher Wolfskehler Hof. Zudem fiel ein Doppelhaus mit Treppengiebel aus dem 19. Jahrhundert auf. Gerade im Duo machten sie Eindruck. In der Renngasse fiel der Blick auf ein einfaches, jedoch properes helles zweigeschossige Haus: das Gerberhaus, welches Franz Steinborn für die Abteilung Stadtgeschichte im Heimatmuseum malte. Ehedem lag es außerhalb der Stadt, da das Gewerbe des Gerbers im Wortsinne etwas anrüchig war. Von der Weierburgstraße blickten die Spaziergänger über die zugehörigen Wirtschaftsflächen für Garten und Kleintierhaltung auf die Doppelhaushälften in der Rheinstraße. Die Führung schloss auf dem Sinzigberg, mit dem Kirchplatz, mit unter der Straße liegenden Resten einer römischen Villa fraglos die Keimzelle der Besiedlung. Auf dem Weg dorthin, in der Kirchstraße, fand das älteste Haus Sinzigs, errichtet 1666, Beachtung. Zwischendurch wurden auch Backsteinhäuser gewürdigt. Auf dem Kirchplatz jedoch, oberhalb des Zehnthofs und im Zwickel der Kirche Sankt Peter aus dem 13. Jahrhundert und klassizistischem Rathaus stehend, eröffneten die Stadtführer unter anderem, dass für das ocker verklinkerte Haus 1905 Sinzigs erste Garage, genannt „Autoraum“ im Garten beantragt wurde.
Fotos und Text: Hildegard Ginzler