Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung KulinAhRT

im Heimatmuseum Sinzig, 4. Dezember 2016

 

Kunst sagt uns, wer wir sind und was wir wollen. Und es ist heute sehr passend, dass wir dies mit so unterschiedlichen Sinneseindrücken verstehen können: Musik, Geschmack und Malerei; alles ist heute zusammen hier. Und so ist es mir eine große Freude, Ihnen das Werk und die Ausstellung KulinAhRT von AndyMo vorzustellen. Wenn Sie gleich hier durch die Ausstellungsräume gehen und sich umschauen, werden Sie vielleicht erstmal denken, »Ah, leckeres Essen!« Sie erkennen Fische und Langusten, frischen Spargel, eine unglaublich appetitliche Schokoladenschnitte mit Himbeeren und vieles andere. Und dann lassen Sie den Blick weiter schweifen von den Wänden in die Vitrinen, in denen uns die Ausstellung weitere Hinweise gibt. Dort sind Kochutensilien zu sehen, Töpfe, Siebe und Löffel, und Fotografien von Töpfen, Sieben und Löffeln, und von Obst und Gemüse, von dem, was so funktional als Nahrungsmittel bezeichnet wird. Und hier verdoppelt sich bereits die Wirklichkeit und reichert sich um die Dimension der Erfahrung der Besucher an.

 

Als ich klein war und meine Mutter etwas gekocht oder gebacken hatte, was ich schön fand, wollte ich manchmal die Torte nicht zerstören. Aber ich wollte sie doch auch essen, denn sie war ja nicht nur zum Anschauen. Ein echter Konflikt der Sinne. Die Engländer haben dafür das Sprichwort erfunden, »You Can’t have the cake and eat it«, man kann den Kuchen nicht essen und behalten. Und so fotografierte ich die Torte und aß sie anschließend auf. Heutzutage haben viele Menschen auf ihren Smartphone Foto-Apps für Food-Fotografie und laden die Bilder von ihrem Essen bei Instagram oder Facebook hoch. Die Plattformen nennen das dann »teilen«, aber in Wirklichkeit teilt man nicht das Essen, sondern man teilt es nur mit, als Bild. Eine Erinnerung ist es aber nur für denjenigen, der das Essen selbst genossen hat. Seit einen Jahr mache ich selbst manchmal Fotos mit einer App, auch wenn ich sie nicht ins Internet hoch lade, und meine vierjährige Tochter schaut sich die Bilder an und erzählt mir, wann das war, was es gab, wer zu Besuch war – und wie es geschmeckt hat. Die ganze kleine Erfahrung sprudelt aus ihr heraus.

 

Erwachsene verlernen vieles von dem, was Kinder tun und können, aber Künstlerinnen und Künstler behalten dieses Wissen. Marcel Proust hat sieben lange Bände über die Suche nach dieser verlorenen Zeit geschrieben, die durch den Duft und den Geschmack einer Madeleine hervorgerufen wurde. Und AndyMo widmet sich seit Jahren der künstlerischen Herausforderung, Geschmackserlebnisse, Situationen, Gefühle und die flüchtigen Intensitäten des Essens und Trinkens ins Bild zu setzen. Und wer wäre hier ein besserer Agent Provocateur als Jean-Marie Dumaine?

 

Beide arbeiten schon lange an ihren Visionen von gutem Geschmack, und es ist diese gemeinsame Vision, derer sich AndyMo in ihrer Kunst angenommen hat. AndyMo hat ihre Geschmackserlebnisse im wahrsten Sinne des Wortes erfahren - in vielen Teilen Europas, unter anderem auf Reisen nach Irland, Italien und Frankreich. Sie verbindet die Ideen von Freiheit und gutem Essen in einem Werk, dessen Farben intensiv und verheißungsvoll sind. In der Papierarbeit »Doux moment au Biarritz«, »Süßer Moment in Biarritz«, spielt der Motorroller eine prominente Rolle. Es ist – und das darf in Zeiten des Brexit auch einmal betont werden – diese Freiheit, die auch Jean-Marie und Colette Dumaine es erlaubt hat, Sinzig und das Ahrtal zu ihrer zweiten Heimat zu machen. Es ist eine Freiheit der Begegnung, an der wir nun teilhaben können, weil es Museen gibt, und es ist wiederum sehr passend, dass eine Ausstellung über Kunst und Küche in einem Heimatmuseum stattfindet, denn kaum etwas macht es uns so angenehm, Fremdes zu etwas Eigenem zu machen und gleichzeitig Heimatgefühl zu vermitteln, wie gutes Essen. Der Ausstellungstitel »KulinAhRT« ist deshalb mehr als nur ein lustiges Wortspiel.

 

Um Entdeckungen geht es AndyMo in ihrer Kunst, um Freiheit. Sie bereitet sie aber so feinsinnig zu wie ein Sternekoch. Schauen Sie sich oben das Bild der jungen Marktfrau an, die »Mademoiselle du marché«. Sie konzentriert sich mit Hingabe auf ihr Gemüse, während aus dem Hintergrund der orangefarbene, auf den Ausgang nach links weisende Pfeil auf sich aufmerksam macht. Vergeblich. Die Mademoiselle folgt einer anderen Richtung, ihrer eigenen. Über der Schokoladenschnitte mit Himbeeren sehen wir einen goldenen QR-Code. Er funktioniert ähnlich wie der orange Pfeil und zeigt an, wohin wir jetzt surfen könnten, statt unsere eigenen Erfahrungen zu machen, und zwar unsere eigenen Sinneserfahrungen.

 

Den Spruch, »Das Auge isst mit«, kennen wir. Kochkunst ist auch Kunst für das Auge. Aber wie ist es umgekehrt, will man etwa sagen, »Die Zunge schaut auch drauf«? Jeder, der sein Lieblingsgummibärchen nicht mit der Geschmacksrichtung, sondern mit der Farbe bezeichnet, sollte jetzt einen Verdacht auf die mögliche Antwort haben. Farben bilden ein System, wie auch die Geschmacksrichtungen ein System bilden, das AndyMo und Jean-Marie Dumaine jeweils zur Verfügung steht. Die hier gezeigte große Leinwand »Geschmacksfarben« thematisiert dieses Verhältnis.

 

Noch etwas anderes verbindet beide Welten, nämlich die spiegelnden Oberflächen der Töpfe, Löffel und Kellen, die in AndyMos Bildern immer wieder zu sehen sind, und die wie kleine Spiegel und Bilder im Bild wirken, kleine leere Flächen, wie die leere Leinwand, Instrumente, die auf ihren Einsatz warten, die aktiviert werden wollen durch das ästhetische Erlebnis, durch Malerei und Kochkunst.

 

So teilen AndyMo und Jean-Marie Dumaine nicht nur nur die Konzentration, die uns aus dem Portrait des Kochs in seiner Küche entgegenkommt, das wir ebenfalls in der Ausstellung sehen können. Beide Künstler arrangieren. Der eine auf dem Teller, die andere auf Leinwand und Papier. AndyMos Werke sind keine einfachen Ansichten. Das fällt einem umso mehr auf, als einige der Fotos, die zum Entstehungsprozess gehören, hier auch zu sehen sind. Es gibt einen inspirierenden Moment für ein Bild, das Foto hält ihn fest, aber es ist noch nicht von der Intensität, um die es geht. In fast allen Arbeiten komponiert AndyMo verschiedene Ebenen und Perspektiven. Ganz offensichtlich geschieht dies in den Papierarbeiten, in denen auch Etiketten und andere flache Gegenstände aus der Wirklichkeit ins Bild integriert werden. In den malerischen Arbeiten entfaltet die Künstlerin verschiedene Blicke in die Leinwand. So sehen wir gleichzeitig einen nahen Blick auf den frischen Spargel und den Koch, der ihn verarbeitet; die Marktfrau wird zum Hintergrund für das Stilleben aus Gemüse; die Langusten scheinen sich aus dem Gemälde zu schälen; und ein Triptychon präsentiert uns eine Art Dreifaltigkeit des Genusses. Was wir sehen, kann uns so kein Foto bieten. Es ist fast wie im Film, wenn manche Zeichnungen und Gemälde uns die Action in der Küche vermitteln, aber auch den Schwung eines elegant servierten Tellers. Der Pinselstrich macht die Bewegung sichtbar, der Übergang zwischen verschiedene Perspektiven wirkt wie ein Zoom.

 

Wenn man dies weiß, erkennt man darin auch, dass AndyMo professionell ausgebildete Designerin ist. Sie spielt mit unseren Sehkonventionen, die durch die Werbung geprägt sind, die uns sofort und überall Genussmomente verspricht und verkauft. Die Zeichen, Etiketten und Buchstaben, die Lust an der Kombination und das gekonnte Arrangement haben auch Wurzeln in dieser Welt. Aber AndyMo macht etwas entscheidend Anderes daraus, denn ihre Arbeiten wollen etwas ganz anderes propagieren, nicht den schnellen Genuss, der sich genauso schnell als eine Art Betäubung entlarvt, sondern den bewussten, auf alle Sinne konzentrierten Genuss, der als eigene Erfahrung ein Leben lang anhalten kann, wie bei Proust. Die Werke dienen nicht dem Verkauf geborgter Gefühle, sondern sind eine Einladung dazu, eigene Erfahrungen zu machen, auf Entdeckungsreise zu gehen, sich bewusst zu machen, welche Bedeutung der Geschmack für das eigene sinnliche Leben hat. Das macht uns erst zu Menschen. Es ist ein neugieriger Blick, den uns AndyMo zeigt und mit uns teilt, und auch das hat sie mit Jean-Marie Dumaine gemeinsam, und mit Ihnen, denn sonst wären Sie heute Mittag nicht hier.

 

Grischka Petri

 

(c) Dezember 2016