Sinziger Schlossgeschichten – Folge 36
von Hildegard Ginzler
Tag des offenen Denkmals –
Vortrag und Ausstellungen lockten 280 Besucher ins Schloss und Heimatmuseum Sinzig
Das Heimatmuseum im Schloss hat am Sonntag neue Liebhaber gewonnen. Das beweisen die vielen Besucher - 45 Kinder und 235 Erwachsene - die per Rad und Pedes, mit Bahn und Auto kamen, um am Programm zum diesjährigen Tag des offenen Denkmals teilzunehmen. Manche nutzten auch einfach die langen Öffnungszeiten, die es erlaubten, sich mit Muße im Museum umzutun, Exponate und Schrifttum zu studieren und von oben einen Blick auf den Schlosspark zu werfen. | ||||
Die Angebote des Tages übten eine hohe Anziehungskraft aus, so die Ausstellung „Bücher und Wein“ der Sinziger Buchhandlung Lesezeit mit einer reichhaltigen Buch-Auswahl zu den Themen Wein und Kultur der Region und dem kostenlosen Probierauschank herausragender edler Tropfen von der Ahr im großen Saal des Schlosses. Dort informierte aus gegebenem Anlass auch die Text- und Fotodokumentation „50 Jahre Heimatmuseum der Stadt Sinzig“ von der Entstehung des Museums im Jahr 1953 bis zur jüngsten Entwicklung im Jubiläumsjahr 2003. | ||||
Einen Höhepunkt des offenen Museums markierte zweifellos Dr. Friedrich-Karl Schröders Vortrag über den Schlosserbauer „Gustav Bunge und seine Zeit“. Am Vor- und Nachmittag parlierte der Redner informationsdicht wie unterhaltsam über seinen Ur-Urgroßvater. Anschließend führten Museumsleiterin Agnes Menacher und Matthias Röcke durch das Schloss, wobei auch die sonst nicht zugänglichen Kellerräume besichtigt werden konnten. Junge Schlossfreunde, die ihren bildungshungrigen Eltern nicht folgen mochten, suchten den ganzen Tag über die zum Malen, Basteln und Lesen eingerichtete Kreativecke auf. Die Familie Bunge, so Schröder, stammt aus Unna/Westfalen. Fünf Generationen nach dem ersten namentlich bekannten Angehörigen kam David Bunge 1745 zur Welt, ein Theologe von großer Gelehrsamkeit und glänzender Redegabe, der das für die nächsten 50 Jahre meistbenutzte Buch für Kinderlehre, Schule und Konfirmandenunterricht verfasste und zehn Kinder hatte. Der siebte Sohn, Johann Peter Gottlieb Bunge, ging nach Brüssel um Kaufmann zu werden, später nach Antwerpen und Amsterdam. 1818 gründete er, nach erfolglosen Geschäftsversuchen mit Kompagnons, allein die Bunge & Co, eine bis heute sich im internationalen Getreidehandel glänzend behauptende Familien-Aktiengesellschaft. Einer seiner neun Söhne war der 1821 in Amsterdam geborene Schlosserbauer Gustav Bunge. Fünf seiner Brüder ergriffen den Kaufmannsberuf, und auch in Gustavs Adern floss Geschäftsblut. Er arbeitete für Bunge & Co, gründete 1959 eine Niederlassung in Brüssel und eine in New York. Im gleichen Jahr führt ihn ein Kölner Adressbuch als „Kaufmann der Firma Bunge und Borlage, New York“. Köln, so erläuterte Schröder eindrucksvoll, erlebte nach 1820, auch infolge der Säkularisation, einen gewaltigen Bauboom. Gewerblich dominierte die Textilindustrie, daneben gab es schon 1807 acht Eau de Cologne- Betriebe. Zigarren, Zucker und Seile wurden produziert. „Vor allem aber war Köln die finanzielle Hauptstadt, vor Frankfurt oder Berlin…Insofern war Köln für den Kaufmann Bunge anziehend.“ Andererseits grassierten mangels Hygiene – Fäkalien im Rinnstein und zuweilen Misthaufen „bis an die Giebelspitze der Häuser“ – Cholera, Pocken, Schwindsucht und Kinderkrankheiten. In der warmen Jahreszeit waren Ungeziefer, Fäulnis und Gestank wohl extrem unerträglich, sodass der, welcher die Mittel besaß, sommers aufs Land ging. Daran fehlte es dem jungen Paar Bunge, Gustav hatte 1850 die 22-jährige Adele Maria Andreae geehelicht, wohl kaum. Denn die Braut kam aus einer wohlhabenden rheinischen Tuchfabrikantenfamilie, die auch im Kupfer- und Weinhandel tätig war. Noch im Heiratsjahr erwarben beide die Sinziger Schlossruine und betrieben sogleich den Neubau ihres Sommersitzes. Zwischen 1851 und 1863 wurden ihnen fünf Kinder geboren, Johanna, Adele, Agnes, Clara und ein Sohn Gustav. Den Sommer verbrachte die Familie, je nach Wetter, von März bis Oktober in Sinzig. Außer seiner von Köln aus geführten Kaufmanntätigkeit für die Firma Bunge & Co wurde Gustav Bunge Sozius der Flachsspinnerei Schöller in Düren. Auch saß er bis zu seinem Tode im Aufsichtsrat der Sinziger Mosaikplattenfabrik und hatte eine leitende Funktion im Aufsichtsrat der „Stadtberger Hütte AG“ inne, einem Kupferbergwerk in Niedermarsberg/Westfalen. Angeregt durch das Beispiel seiner Neffen, die in Südamerika Geschäfte machten, gründete Gustav Bunge zweimal in Argentinien einen „Argentinischen Landverein“ zum „Handel mit Grundstücken und Eingeborenen“. 1890 verlor er seine Investitionen durch den argentinischen Staatsbankrott. Im gleichen Jahr legte er ebenfalls Geld in südafrikanischen Goldminen an. „Das war alles zeitgemäß, in Deutschland war die Kolonialeuphorie ausgebrochen, vom Kaiser gefördert, menschlich wie sozial fragwürdig. Aber wir sind sicher nicht berechtigt, das mit heutigen Maßstäben zu messen. Vor allem, wenn wir sehen, wie sozial Gustav Bunge an anderer Stelle gehandelt hat“, befand der Redner. So stiftete Bunge die 1874 eröffnete Kölner „Augenheilanstalt für Arme“, eine damals fortschrittliche schnell florierende Einrichtung. Bunge, der seine Zeit tatkräftig mitgestaltete, erfreute sich zeitlebens einer robusten Gesundheit, bis er im Februar 1891 innerhalb von vier Tagen an einer Lungen- und Rippenfellentzündung starb. „Er lebt noch unsichtbar in den Genen seiner Nachkommen, sichtbar durch sein bild im Schlösschen und in der Wetterfahne über dem Turm.“ |
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