Sinziger  Schlossgeschichten 49

Ein Wochenende im Zeichen der Keramik

Anja von Becker präsentierte 

50 Zier- und Gebrauchsobjekte in Aufbautechnik

 

von Hildegard Ginzler

 

Stark verändert zeigte sich der Sitzungssaal des Ortsbeirats im Sinziger Schloss. Er bot, bestückt mit 50 Keramik-Objekten der Töpferin Anja von Becker, zahlreichen Besuchern einen staunenswerten Anblick. Nicht nur am Vernissage-Morgen, den Martin Menacher und Christopher Esch mit Gitarrenmusik umrahmten, auch nachmittags und am Tag darauf stieß die Ausstellung auf ein interessiertes Publikum. „Die Veranstaltung ist ganz prima gelaufen“, zog denn auch Museumsleiterin Agnes Menacher ein positives Fazit, nachdem rund 300 Besucher am Ausstellungswochenende den Weg ins Schloss gefunden hatten.
Sie sahen etwa kantige quaderförmige Gefäße mit rechteckiger oder quadratischer Basis. „Bodenvasen“, wie mancher Gast spontan bemerkte. Selbstverständlich lassen sich die schönen Stücke mit Blumen füllen. Aber an ihnen kann sich auch die reine Sehfreude festmachen, wandert doch der Blick von rauen unglasierten Gefäßpartien zu den glänzenden hin und verweilt bei den Dekoren. Das gilt gleichermaßen für voluminösere aufstrebende Behältnisse, die Unterteilungen aufweisen. Gewölbte und eckige Wandungsteile sind so zusammengefügt, dass sie Taschen bilden, welche wiederum zweckdienlich als Vasen oder Schirmständer herhalten mögen, wenn es denn ihrem Besitzer gefällt. 
Anja von Becker, die ihre Ausbildung in der Angler Kunsttöpferei in Sorup/Schweswig-Holstein machte, 1987 in Höhr-Grenzhausen die Meisterprüfung ablegte und in Königsfeld gemeinsam mit ihrem Mann Roland Lirk von Becker eine keramische Werkstatt betreibt, versteht ihre „skulpturalen Vasen“ grundsätzlich als Gefäße „von brauchbar bis unbrauchbar“. Unbrauchbar zur Wasserbefüllung sind etwa die Varianten, deren Wandung sich teils durchgehend, teils durchbrochen präsentiert. Das Witzige dieser Gefäße: Was ihnen auf der einen Seite fehlt, hat die Töpferin ihnen auf der durchgehenden Seite in Form eines aufgebrachten Tonreliefs wieder zugeschlagen. 
Durchbrochene Gitterkeramik gibt es auch als Schale oder sogar in Kugelform. Ein anderer Schalentyp weist eine nach innen knickende Wandung auf, ein weiterer ist blattförmig, also gerundet und spitz zulaufend beziehungsweise hat er statt der Spitze einen schräg abgeschnittenen geraden Rand. Die Schalen sind inspiriert von kultisch-religiösem Gedankengut. „Dafür eignen sie sich schon von ihrer Form her, die auffängt und empfängt.“ Mit Zeichen wie Kreuz und Kreis, Dreieck, Ellipse und Punkt schmückt Anja von Becker deshalb diese Tonobjekte.  
Außerdem zeigte die Töpferin im Schloss Gartenkeramik: Dazu gehören Bänke und große Stelen. Auf hohem Holzpfeiler prangt eine runde Keramikscheibe, und vollkeramisch ergänzen sich zwei verjüngende Plastiken zu einem Monument. Ein viel bewundertes Stelen-Objekt hat von Becker aus diversen Formen zusammengebaut. Über einem Basis-Quader steht ein tiefblau glasiertes auf einer Seite zackig raumgreifendes Element. Der aufliegende zweite Quader bildet die Unterlage für eine krönende Mondsichel. So entsteht durch zwei einfache ähnliche und zwei sehr verschieden Einzelformen ein rhythmisch geprägter Körper. Ebenfalls für den Außenbereich geeignet, das heißt frostsicher durch eine an Schammotte reiche Tonrezeptur, sind die „Boote“. So nennt ihre Schöpferin die halbkreisförmigen Hohlkeramiken, die sich bepflanzen lassen oder aber ausschließlich als autonome Zierkeramik wirken.
„Manchmal macht es mir Freude streng architektonisch zu arbeiten, ein andermal brauche ich einen Gegenpol und wende mich dem organisch Zufälligen zu“, sagt die Ton-Gestalterin. Trifft letzteres zu, bearbeitet sie den feuchten Ton mit dem Hammer oder mit Stöcken, um Rauheit und Struktur in die Fläche hineinzubringen. Die Gäste erkannten auch gestempelte und eingekerbte Ornamente. „In der Dekoration entwickelt Anja von Becker ein phantasievolles Spektrum. Mal passt es sich der Form an, mal steht es in spannungsreichem Gegensatz dazu“, wie Agnes Menacher in ihrer Einführung erklärte. Zum Produktionsprozess zitierte sie die Künstlerin: „Wie gelangt man sonst ins Unbekannte, überschreitet Grenzen von schon Gewusstem, wenn nicht kindlich-spielerisch, naiv und offen?“  
Alle gezeigten Arbeiten entspringen der Aufbautechnik. Im Gegensatz zur Produktion von der Töpferscheibe, „wo ja alles rund wird“, verwendet man bei der Aufbaukeramik Tonplatten. Im so genannten lederharten Zustand werden sie verformt und zusammengefügt. Dass die Platten auch beim Brand zusammenhalten und nicht reißen, ist die Sorge des Töpfers. „Gerade bei großen Dingen führt die Spannung leicht zu Rissen“, so Anja von Becker. Freundlich und ausdauernd beantwortete sie die vielen Fragen der Ausstellungsbesucher. Die erfuhren, dass die Töpferware bei 1280 Grad Celsius in einem der drei Töpferöfen gebrannt wird. Die Tonmischung aus 25 Prozent Schamotte, einem Teil englischem und einem Teil Westerwälder Ton hat vor dem Brand die Farbe von Schokolade, sieht danach aber sandfarben aus. Der warme gelblich-rötliche Farbton war ein wesentlicher Grund für die Wahl der Tonmischung. Wer nun erst richtig neugierig auf die Keramik aus königsfeld geworden ist, dem sei ein Spaziergang auf der Vinxtbachtal-Route mit acht Skulpturen empfohlen oder ein Besuch auf dem Töpferhof. HG