Geballte Schadensabwehr
Wo ist das 340 Jahre alte Wegkreuz aus Franken?
SINZIG. Zwei Denkmäler stehen in Sinzigs kleinstem Stadtteil Franken einträchtig beieinander. Bisher jedenfalls. Wie staunte Renate Rick, Vorstandsmitglied im Verein zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums in Sinzig, als sie Ende Februar am Ausgang der 540-Einwohner-Gemeinde Richtung Bad Breisig nur noch die 1881 errichtete Lourdes-Kapelle sah. Daneben fand sie eine Umzäunung ohne Inhalt vor. Wo war der Segensstein geblieben?
Das so bezeichnete Wegkreuz mit eingeschriebener Jahreszahl 1681 verfügt über eine hausförmige Nische auf schlankem Schaft. Bei Flurprozessionen zum Schutz von Land, Vieh und Mensch diente sie der Aufnahme des Allerheiligsten. Außerdem weist der Segensstein Kreuze in alle vier Himmelsrichtungen auf, plus eines gen Himmel selbst, gebildet durch die Firste der Bedachung. Geballte Schadensabwehr somit. Denn dem Kreuz als Symbol des christlichen Glaubens wurde auch die Kraft zugesprochen, das Böse abzuwenden. Im tiefen Vertrauen auf Gottes Hilfe und Gnade entstanden diese Steinkreuze, die Orientierung in der Landschaft und im Leben geben wollten.
Segenssteine mit Nischen und Kreuzen rundum sind auch als Besonderheit im Brohltal anzutreffen. Eines steht in Niederdürenbach. Weitere mit geradezu ineinander verschachtelten Kreuzen kommen bei Hain und Oberzissen an der Straße nach Galenberg vor.
Mit dem religiösen Steinmal von Franken war der Denkmalverein bereits im Frühjahr 2019 befasst, nachdem ihn eine Bürgerin aus Franken auf den bedauernswerten Zustand hingewiesen hatte. Rick und eine Vorstandskollegin dokumentierten daraufhin das Objekt fotografisch und stellten gleichfalls zahlreiche äußere Beschädigungen fest. Daher fiel Rick sein Fehlen sofort auf. „Ich traute meinen Augen nicht“. Einzig ein Basiselement des Wegkreuzes lag noch an Ort und Stelle. Verwunderung ging mit Besorgnis einher. War es denkbar, dass Liebhaber von „Altertümern“ den Stein entwendet hatten? Es wäre nicht das erste sakrale Objekt, das durch Diebstahl aus der Kulturlandschaft gerissen worden wäre. „Einige schließlich wurden von skrupellosen Zeitgenossen gestohlen, um sie zu Hause im Garten oder sonstwo aufzustellen“, klagt Ottmar Prothmann etwa im Heimatjahrbuch 1983 hinsichtlich der religiösen Kleindenkmäler im Ortsbezirk Ringen.
Renate Rick jedenfalls war irritiert. „Ich fuhr gleich weiter, ich musste das erst verdauen“. Sie wandte sich an den Vereinsvorsitzenden Hardy Rehmann. Der wusste nichts vom Verschwinden des Steins. Hans-Jürgen Koffer aber, Ortsvorsteher von Franken, gab Entwarnung. Die Bewohner des Ortes wüssten Bescheid. Kein Sammler habe den Stein abtransportiert. Vielmehr sei er bei einem Steinmetz, der ihn herrichte. Koffer selbst hatte vor längerem bemerkt, „der Stein war lose“ und die mangelnde Standfestigkeit der unteren Denkmalschutzbehörde beim Kreis gemeldet. Dort beantragte er mit Achim Sebastian vom Bauhof Sinzig Anfang 2020 die Sanierung der Schäden zu genehmigen, denn die Wegkreuze genießen Denkmalschutz.
„Das Kreuz hat stark gewackelt. Es sollte schnell repariert und gesichert werden. Es ging auch darum, Personenschäden zu verhindern“, erklärt Achim Sebastian. Schnell ging aber erst einmal gar nichts. Ohne von der Intervention des jeweils anderen zu wissen, machte der Denkmalverein als auch die Stadt Sinzig gemeinsam mit Franken dieselbe ärgerliche Erfahrung, dass bei der Denkmalbehörde über Monate niemand zu erreichen war. Sobald aber der offensichtliche personelle Notstand vorüber war und mit Annette Willerscheid eine aufmerksame Ansprechpartnerin die Leitung des Kreis-Denkmalschutzes übernahm, kamen die Dinge in Bewegung. Sebastian: „Uns war wichtig, dass der Stein vor dem Winter abgeholt wurde, damit der Frost die Schäden nicht vergrößert“.
Gegen Ende November wurde die Natursteinfirma Diwo in Remagen, „die schon öfter für die Denkmalpflege gearbeitet hat“, beauftragt, den Stein abzubauen, zu lagern, zu sanieren und - „wenn die Fröste rum sind“ - wieder zu installieren. Steinmetz- und Bildhauermeister Jörg Diwo, dessen Familie seit 100 Jahren in Folge Steinmetze hervorgebracht hat, übernahm den vom Vater Oswald Diwo vor 60 Jahren in Remagen gegründeten Betrieb im Jahr 1991.
Laut Jörg Diwo handelt es sich bei dem Material des Wegkreuzes um weichen gelben Sandstein. Um die Beschädigungen, Risse, Ausbrüche, Abplatzungen, womöglich teils durch „Schussverletzungen aus dem Krieg“, zu beheben, setzt Steinmetz- und Bildhauermeister Diwo Steinersatzmittel ein. Dabei benötigt der Prozess der Instandsetzung Zeit: „Eine Woche dauert es, bis das Mittel aushärtet und die Arbeit fortgesetzt werden kann.“ Sobald keine Fröste mehr zu erwarten sind, wird der Segensstein wieder am angestammten Ort errichtet.
Bedeutsame Nische
An Flurkreuzen machten christliche Prozessionen halt zum katholischen Fronleichnamsfest und bei Flurprozessionen. Mit den Flurumgängen erbat und erbittet man in ländlichen Gegenden noch oder wieder Gottes Segen für die Ernte oder die Abwehr von Gefahren und Not. Bitten und Texte der vier Evangelien in vier Himmelsrichtungen wurden verlesen. Mit der geweihten Hostie segnete der Priester Land und Leute. Da nur er die Hostienschale berühren durfte, musste er sie in der dafür gedachten Nische der Kreuze abstellen. Die Heilige Familie in und das Gitter vor der Nische des Frankener Segenssteins sind nachträglich hinzugekommen.
Neben der Lourdes-Kapelle ist der Segensstein situiert. Foto: Hildegard Ginzler
Das Wegkreuz mit der Nische und allseitiger Schadensabwehr ist
bis heute ein Ort des stillen Gebetes. Foto: Hildegard Ginzler
Der aktuelle Anblick kann Schlimmes befürchten lassen. Foto: Renate Rick
Text und Fotos von Kapelle und Segensstein: Hildegard Ginzler
Foto vom fehlenden Segensstein: Renate Rick
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