Das Miteinander von Christen und Juden – in Sinzig

Rudolf Menachers Vortrag eröffnete die Turmgespräche des Denkmalvereins im Schloss

von Matthias Röcke 

 

Sinzig, 12. Februar 2009

Warum war die persönliche Betroffenheit der christlichen Bevölkerung gegenüber dem Schicksal der jüdischen Mitbürger in der nationalsozialistischen Zeit so gering?  Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, befasste sich Rudolf Menacher  bei der Auftaktveranstaltung der „Turmgespräche im Schloss“  auf Einladung des Vereins zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums in Sinzig  e.V mit den Wurzeln des jüdisch-christlichen Miteinanders in Sinzig und anderswo in Deutschland. Im Rahmen der „Turmgespräche im Schloss“ wird der Verein alle zwei Monate ein Thema zur Sinziger Geschichte anbieten.  Vorsitzender  Dr. Günther Schell konnte zum Auftakt im Kultursaal des Schlosses 50 interessierte Zuhörer begrüßen.

Menacher begann seine Ausführungen mit den Wurzeln religiös motivierter Judenfeindschaft aus dem Mittelalter. Seinerzeit war Sinzig eine Königspfalz, und da Juden nur dem König steuerpflichtig waren, lebten sie vorzugsweise an solchen Orten. Juden waren die Kreditgeber in der Gesellschaft – Christen war dies verboten -  und dadurch sehr wohlhabend. In der Folge kam es zu religiös motivierten und durch soziale Spannungen geschürten  Pogromen, in Sinzig in den Jahren 1265 und 1287.  Ein weiteres Pogrom mit zahlreichen Opfern geschah zu Zeiten der Pest um das Jahr 1348. Rudolf Menacher betonte, dass es keine Hinweise für eine Sinziger Judengasse mit verschließbaren Toren (Ghetto) gebe, trotz anders lautender Überlieferung.

Nachdem auch Christen das Geldverleihen gestattet war, verloren die Juden dieses Monopol und verarmten zum Teil als Landjuden, auch deshalb, weil ihnen der Zugang zu den Handwerkerzünften verwehrt blieb. Viele Juden widmeten sich dem Handel mit Vieh und mit Fellen, andere wurden Tagelöhner – Grundbesitz war ihren verboten. Auch nach Wegfall der Zünfte 1794 gelang lediglich der Zugang ins Schneiderhandwerk – eine Folge waren die zahlreichen jüdischen Bekleidungshäuser im 19. und 20. Jahrhundert. Die Lage der Juden verbesserte sich mit der durch die französischen Revolutionstruppen eingeführten Gleichstellung, es begann die Epoche der Anpassung.  Über den Viehhandel und kleine Kaufhäuser, auch in Sinzig, kamen einige Juden wieder zu Geld.

Als das Königreich Preußen im Jahre 1815 das Rheinland übernahm, erhielten die Juden staatsbürgerliche  Rechte, 1837 auch das Wahlrecht. Vielerorts entstanden nun Synagogen, in Sinzig durch Ausbau der Martelsburg in der heutigen Rheinstraße, wo ein Gedenkstein daran erinnert.  Die Einweihung der Synagoge war ein von der ganzen Stadt mit begangenes Ereignis. Mit dem sozialen Aufstieg einiger jüdischen Familien und trotz der weit gediehenen Anpassung  und eines insgesamt recht guten Miteinanders wurde die Atmosphäre nach 1870 wieder frostiger, was sich in derben Späßen und Spötteleien der christlichen Bevölkerung widerspiegelte. Um 1899 hatte die jüdische Gemeinde in Sinzig, vor einer Abwanderungswelle in die großen Städte,  78 Mitglieder.

Wie reagierten die Sinziger auf die Verfolgung in der nationalsozialistischen Zeit?  Rudolf Menacher, der diese Frage für sein zusammen mit Hans-Ulrich Reiffen verfasstes Buch „Knoblauch und Weihrauch – Juden und Christen in Sinzig 1914 – 1992“ (1996) durch Zeitzeugenbefragung untersucht hatte,  berichtete hier von passivem Zuschauen eingeschüchterter Bürger beim Geschäfteboykott 1933,  beim Pogrom 1938 sowie der Deportation der verbliebenen Juden 1942 ebenso wie über , trotz Angst vor Denunziation geleistete, versteckte Hilfe („heimliches“  Kaufen, Unterstützung der Verfolgten in Einzelfällen).

Viele der Sinziger Juden konnten auswandern, viele andere wurden Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes.

Eine noch bis zum 30. August laufende Ausstellung im Sinziger Heimatmuseum erinnert beispielhaft an das Schicksal der jüdischen Familie Meyer  aus Sinzig (Öffnungszeiten Donnerstag  10.00 bis 12.00,  Samstag und Sonntag  14.00 bis 17.00).